Was würde Batman tun? - Versuch des Entwurfs einer moralischen Strategie gegen den Terror des IS mit popkulturellen Mitteln

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Bild: © aga7ta/Shutterstock.com

Der “Islamische Staat” hat es mit exzessiver Brutalität und fanatischer Logik innerhalb kürzester Zeit geschafft, eine ganze Region ins Chaos zu stürzen. Doch bei aller scheinbaren Irrationalität geht die Terror-Organisation mit eiskaltem Kalkül vor und bedient sich einer Strategie, die so klar wie grausam ist: Die Welt soll im Angesicht des reinen Horrors an ebendiesem verzweifeln, weil sie ihm mental nichts entgegenzusetzen hat. Wie geht man mit einem Gegner um, der sich jenseits aller uns bekannten Wertesysteme bewegt? Rationalität oder Wissenschaft können hier keine Lösung anbieten. Aber vielleicht kann es die Popkultur.

Angst und Schrecken, global und in Echtzeit

Mir ist klar, dass es auf den ersten Blick absurd erscheint, einen weitläufigen und trivialen Begriff wie den der Popkultur im Zusammenhang mit einer moralischen Strategie gegen den Terror zu bemühen, und nichts liegt mir ferner, als die Schicksale der Opfer zu trivialisieren. Aber der vermeintliche Glaubenskrieg im Nahen Osten ist auch und vor allem ein Krieg der Kulturen. Die aufklärerische, vernunftbetonte Kultur der freiheitlich denkenden Welt sieht sich dem fanatisch-religiösen, emotionalen Todeskult des IS gegenüber, der mit seiner mittelalterlich-maskulinen Rhetorik und seiner sehr schlichten Auffassung von Gut und Böse der krasse Gegenentwurf zu unserem auf Vielfalt, Debatte und Verhältnismäßigkeit basierenden Moraldiskurs und Rechtsverständnis ist. Und während wir kopfschüttelnd die Hände über dem Haupt zusammenschlagen und angesichts der brachialen Wucht, mit der der IS vorrückt, verzweifeln, feuern die selbsternannten Gotteskrieger ein nie dagewesenes Propaganda-Feuerwerk ab, bei dem gezielt Informationskanäle wie Twitter, Instagram und YouTube genutzt werden, um Angst und Schrecken global und in Echtzeit zu verbreiten, neue Kämpfer zu rekrutieren und sich selbst zu feiern.

Der andere Tod

Ich werfe mal die These in den Raum: Vom Standpunkt eines Dschihadisten sind Enthauptungsvideos nicht grausam. Sie sind das Produkt der tiefen Überzeugung, das Richtige zu tun und im Namen eines Wertekanons zu handeln, der unserem überlegen ist. Sie sind ein visuell inszenierter Sieg des Guten über das Böse. Wenn man es zynisch formulieren möchte, sind Enthauptungsvideos dschihadistische Popkultur. Empfinden wir etwa Mitleid, wenn George Clooney und Quentin Tarantino in “From Dusk Til Dawn” Vampire niedermetzeln? Natürlich nicht, auch wenn der Unterschied bei diesem Vergleich offensichtlich ist: Ein Kinofilm ist Fiktion. Die Enthauptungsvideos des IS sind bittere Realität. Doch dieser Unterschied besteht nur in _unseren_ Köpfen, nicht in denen fanatischer Krieger. Es ist genau diese Andersartigkeit, die wir im vollen Umfang erfassen müssen, wenn wir das Wesen des IS verstehen möchten. Diese Andersartigkeit besteht im Umgang mit dem Tod. Der IS praktiziert einen Todeskult. Der eigene Tod ist nicht das Ende, und der Tod des Gegners ist - auch wenn das höchste aller Ziele - nicht viel mehr als ein Schulterzucken.

Die Popkultur als moralischer Kompass

Inwiefern kann uns nun unsere eigene Popkultur dabei helfen, eine moralische Strategie gegen den Terror zu entwickeln? Nun, das Großartige an unseren popkulturellen Errungenschaften ist, dass sie trotz aller Oberflächlichkeit tief in unseren philosophischen und moralischen Vorstellungen verwurzelt sind. Wie zum Beispiel die wohl berühmteste Episode aus Gotham City:

In “The Dark Knight” kämpft Batman gegen einen Gegner, der den niedrigsten aller menschlichen Instinkte ins Spiel bringt: den Lebenserhaltungstrieb. Der Joker stattet zwei vollbesetzte Fähren mit Sprengstoff und dem Fernzünder für das jeweils andere Boot aus und stellt die Insassen vor die Wahl: Wer zuerst die Bombe zündet, ist zwar ein Mörder, aber auch Überlebender. Beide Parteien entscheiden sich gegen die Schuld und für den eigenen Tod, was paradoxerweise wiederum dazu führt, das niemand sterben muss. Dieser Verzicht auf das eigene Leben ist ein zutiefst irrationaler Vorgang, der aber nicht der Hoffnung auf ein Leben im Paradies entspringt, sondern der moralischen Gewissheit, dass es falsch ist zu töten. Wenn man so will der Gegenentwurf zum Todeskult des IS und der Strategie des Horrors.

Helden dürfen nicht grausam sein

So weit, so gut. Doch was macht Batman? Natürlich stellt er den Joker. Als dieser versucht, doch noch die beiden Fähren in die Luft zu jagen, kommt es zum Handgemenge und Batman stößt den Widersacher in die Tiefe. Das wichtige Detail dabei: Er lässt ihn nicht sterben, sondern rettet ihn im letzten Moment, um ihn daraufhin der Polizei zu übergeben. Er entscheidet sich trotz Möglichkeit und Motiv dagegen, die eigenen Überzeugungen von Rechtschaffenheit aufzugeben. Und mal ehrlich, niemand nähme es ihm übel, wenn er den Joker einfach fallen ließe. Die größenwahnsinnige Grinsebacke bewegt sich so weit außerhalb unseres Wertesystems, dass wir keine Empathie für ihn empfinden können. Und dennoch verschonen wir ihn - in einem Film, wohlgemerkt! Würde Batman den Joker nicht retten, es gäbe keine realen Konsequenzen. Oder doch? Warum dürfen unsere Helden zwar hart, aber nicht grausam sein? Was sagt das über uns?

Die Fassungslosigkeit bewahren

Angesichts der Grausamkeit des Terrors bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Fassungslosigkeit darüber zu bewahren. Es ist gut und richtig, dass wir fassungslos sind. Batman wäre es auch. Klar, er würde sicher irgendjemanden vermöbeln, mit Batarangs um sich werfen und Enterhaken abfeuern, aber darum geht es hier gar nicht. Ich rede nicht über eine militärische Strategie, sondern über ein moralisches und letzten Endes auch mentales Konzept, um nicht an der Grausamkeit zu verzweifeln und nicht den Unterwerfungsreflex zu verspüren, den die IS-Strategen in uns erzeugen möchten.

Krieg im eigenen Haus

Dabei müssen wir uns vor allem klar machen, dass - zumindest aktuell - die tatsächliche, körperlich erfahrbare Bedrohung (bis auf einige Ausnahmen) gar nicht bei uns liegt. Der IS hat den Dschihad im eigenen Haus losgetreten: dem Nahen Osten. Er hat gezielt den muslimisch geprägten Teil der Welt angegriffen, weil es einfacher ist, als ständig mit gekaperten Flugzeugen in Wolkenkratzer auf amerikanischem Boden zu fliegen. Der Plan dahinter ist perfide und setzt nicht auf punktuelle Schäden wie seinerzeit Al-Quaida mit 9/11, sondern auf die großflächige Destabilisierung und letztlich die Unterwerfung mehrerer souveräner Staaten. Sollte der IS es tatsächlich schaffen, ein stabiles Kalifat mit staatenähnlichen Strukturen zu errichten, wäre dies nichts anderes als die Institutionalisierung des Terrors. Wir können es uns also weder leisten zu verzweifeln oder zu verrohen, noch dürfen wir Pauschalurteile über die fällen, die am meisten unter dem Terror leiden. Der Todeskult des IS ist nicht nur ein Angriff auf den sogenannten Westen, sondern auch und vor allem einer auf den Islam und alle Menschen, die lieber in Frieden leben als mit Schrecken herrschen.

Die Antwort

Was also würde Batman tun? Und ist es überhaupt sinnvoll diese Frage zu stellen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Er würde den Glauben an das Gute nicht verlieren. Dem Bösen Vernunft entgegensetzen. Und sich nicht vom Hass übermannen lassen. Das einzige Mittel gegen den Tod ist das Leben. Dieses gilt es unter allen Umständen zu schützen. Es ist in diesen Zeiten kostbarer denn je. Und die einzige Antwort, die wir haben.

Marvin Mügge

Marvin Mügge

Weltraumpräsident at Weltenschummler
Gonzo-Journalist. Hat als Einziger das Ende von Lost verstanden und eine hohe Trash-Toleranzgrenze. Serienaddict, Kinogänger, Medienkritiker, GIF-Sammler und gescheiterter Physiker. Gründer von Weltenschummler.
Marvin Mügge
- 2 Tagen ago
Marvin Mügge