In 30 Tagen durch den Boulevard (3)

In 30 Tagen durch den Boulevard - Tag 3

Tag 3: 08. Februar 2014

Voller Tatendrang und Vorfreude auf die kommenden Schlagzeilen beginne ich den Tag wie gewohnt mit ein bis fünf Kännchen schwarzem Kaffee und einer zur Koffeinmenge proportionalen Anzahl von Zigaretten. Wer wird mich heute mit der kuriosesten und/oder geschmacklosesten Story überraschen? Wird es wieder der Berliner Kurier oder holt die Axel-Springer-Fraktion endlich auf? Ich kann nicht leugnen, dass ich mich ein wenig auf die “Lektüre” freue, als ich die Zeitungen vor mir ausbreite.

Die BILD heischt sogleich Aufmerksamkeit mit zur Schau gestellter Empathie für Michael Schumachers gesundheitliche Situation (“Aufwach-Phase: So kämpfen Ärzte und Familie jetzt um Schumi!”), und die B. Z. verfällt angesichts der Anwesenheit George Clooneys in Berlin zurück in frühkindliche Sprachentwicklungsstufen: “Clooney da!” Ernsthaft? Ich bin enttäuscht. Kein Krawalljournalismus, stattdessen profaner Starklatsch. Langweilig. Ich frage mich, was zur Zeit wirklich in der Welt passiert und ob ich bereits irreparable Wissenslücken durch die akute Desinformation erlitten habe (Notiz an mich selbst: In der Nachbearbeitung unbedingt abgleichen!).

Der Berliner Kurier dagegen ist in Höchstform und kann sich mit an Volksverhetzung grenzendem Lokalpatriotismus den dritten Tagessieg in Folge sichern: “Prösterchen, Frau Suffke! Typisch Kudamm-Kiez [sic!]! Angeschickerte Charlottenburgerin schrottet zwei Autos und muckt dann auch noch auf, als die Polizei kommt.” Abgesehen von dem *Klugscheißermodus ON* fehlendem Apostroph in “Kudamm” *Klugscheißermodus OFF* - wenn es je ein Lehrstück im Schüren von Vorurteilen gegeben haben sollte: Hier ist es.

Die Tatsache, dass ich als Blogger in der Regel um die Anerkennung als Journalist kämpfen muss und der für diese Schlagzeile verantwortliche Redakteur der Berliner Kuriers dagegen mit einem Presseausweis durch die Gegend rennt, lässt mir das letzte Kännchen Kaffee wieder hochkommen. Ich weigere mich zu glauben, dass die Mehrheit der Kurier-Leserschaft bis dato überhaupt jemals am Stammtisch oder anderswo das scheinbar weit verbreitete Alkoholismusproblem und die offene Gewaltbereitschaft der Ku’damm-Bewohner thematisiert hatte (“Diese brutalen Wessis trinken uns unser Bier weg…”). Die Frage lautet also nicht nur: “Wer liest das eigentlich freiwillig?”, sondern: “Wie tief muss man sinken, um solche Nachrichten zu machen?” Ich werde versuchen, eine Antwort darauf zu finden.

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