Das Web zurückerobern? Ich bin dabei, Johnny!

Johnny Haeusler von Spreeblick hat einen großartigen Beitrag zur Bedeutung des Internets außerhalb der sozialen Netzwerke geschrieben. Unter dem Titel “2013: Das Web zurückerobern” legt er eindrucksvoll dar, welche Nachteile die immer mehr geschlossenen Systeme von Facebook und Co. haben. Und dabei wird er nicht einmal polemisch: das ganze “Social Media”-Ding ist grundsätzlich eine feine Sache - wir dürfen nur eines nicht vergessen: Das echte, freie Internet liegt außerhalb dieser Konzerne. Es sind die unendlichen Weiten des Internets, insbesondere die Blogs, die in der Tradition von wahrer Informationsfreiheit “leben” und ein offenes, transparentes System bieten. Die Funktion des Chronisten und die nachvollziehbare Dokumentation eines Gedankenaustauschs, die das Internet und insbesondere die unabhängigen Onlinemedien haben, gehen in den nahezu hermetischen Biosphären der sozialen Netzwerke immer mehr unter. Ich bin mal so frei, Johnny an dieser Stelle zu zitieren:

Wenn ich früher™ einen Artikel wie diesen hier auf Spreeblick veröffentlichte, stießen nach und nach ein paar andere Blogger darauf, verlinkten ihn vielleicht, und im besten Fall fand eine Diskussion dazu statt, die man auch Jahre später noch nachlesen konnte. Unter dem Artikel, direkt hier bei Spreeblick. Veröffentliche ich heute etwas, stoßen die meisten Leserinnen und Leser erst dann darauf, wenn ich den Link per Twitter und Facebook weitergebe, wo der Inhalt dann oft auch diskutiert wird. Ein Spreeblick-Artikel braucht heutzutage die Kommentar-Betreuung und ggf. meine Reaktion auf diversen Kanälen, die Debatte zerfasert, teilt sich auf und verschwindet schnell im Nirwana der Sozialen Netzwerke. Noch schlimmer: Wenn auf einen Tweet verschiedene interessante Antworten folgen, sind diese nach kurzer Zeit verloren, eine Dokumentation ist beinahe unmöglich. Und das ist Mist.

Das Web sammelt Wissen und dokumentiert Menschheitskultur. Es ist für jeden zugänglich, der einen Internet-Anschluss hat. Wenn dieses Wissen und diese Dokumentation jedoch immer mehr hinter verschlossenen Türen in Räumen stattfindet, die von wenigen kontrolliert werden, die nur diejenigen eintreten lassen, die zunächst ihre Daten hinterlassen und ihre Rechte abgeben, dann wird das Web verkümmern, zu einem obskuren Nerd-Spielplatz werden oder ganz sterben.

Es lässt sich jedoch jede Menge tun, um dies zu verhindern. Wir können – und das geht zu allererst an mich selbst – wieder mehr bloggen, auch wenn es sich nur um einen kleinen Link handelt, den man postet. Wir können – und das geht zu allererst an mich selbst – wieder mehr Blogs verlinken und wieder mehr auf Blogs kommentieren statt auf Facebook oder Twitter. Und wir können – und das geht zu allererst an diejenigen, die coden können – uns kommerzielle Dienste ansehen und von ihnen lernen. Mobile Apps, die uns die Arbeit erleichtern; Blog-Designs, die klar verständlich auch für Erstbesucher sind; Tools, welche die Vernetzung unter Blogs weiter verbessern; Werkzeuge zum Abonnieren von Blogs, die keine Auseinandersetzung mit RSS-Readern brauchen (Mail-Abos z.B. dürften für die meisten Nutzer einfacher sein); vielleicht sogar Rating- oder “Like”-Systeme, die Blog-System-übergreifend funktionieren …

Ich stimme dir voll und ganz zu, Johnny, auch wenn ich der Meinung bin, dass gerade die RSS-Technologie eigentlich diejenige ist, die uns bereits jetzt bietet, was wir brauchen, um das Web zurückzuerobern. Das Problem dabei ist, dass sie auf die meisten Otto-Normal-User wie ein archaisches Rudiment aus prähistorischen Zeiten wirkt, da die meisten Reader - oder zumindest die, die ich kenne - ihren Fokus auf Informationsverteilung und nicht auf hochgestylte, hübsch gepimpte Interfaces legen. Die uniformiert-individualisierte Gleichförmigkeit der Benutzeroberflächen von sozialen Netzwerken erobert sich die Akzeptanz bei der Generation Social Media durch eben diese visuelle Vertrautheit.

Dabei kann ein RSS-Reader so viel mehr als z. B. Facebook - ich sehe und lese wirklich nur das, was mich interessiert und was ich abonniert habe - und keine gesponsorten Meldungen. Ich muss auch keine Rechte abgeben oder Fotos von mir hochladen. Ich erhalte Informationen von so vielen Websites, wie ich es möchte, ob es nun drei sind oder 300. Die Interaktivität ist trotzdem gegeben: Über das Website-eigene Kommentarsystem kann ich genau dort meinen Senf dazu gegeben, wo die Bratwurst gemacht wurde: auf dem Blog. Und genau da gehört der Senf auch hin. Leider ist es ein Tool, das eben nicht vom lesenden Publikum genutzt wird, sondern fast ausschließlich von Content-Publishern, was dazu geführt hat, dass viele Websites gar keinen Feed mehr anbieten, sondern nur noch auf ihre Social-Media-Präsenzen hinweisen.

Jeder, der Content produziert, zum Beispiel durch einen Blog, kann diese Technologie nutzen. Sie ist frei und neutral, unabhängig von durch Konzernen bestimmte und monetarisierte Informationsflussprioritäten. Die Vernetzung obliegt uns dabei selbst, wie du gesagt hast. Durch entsprechende Verlinkung und Kommunikation können wir uns ein eigenes Netzwerk bauen. Vielleicht müssen wir das Medium Blog auch einfach besser schätzen lernen. Während im englischsprachigen Raum die Blogger längst ein Selbstverständnis entwickelt haben, das ihrer medienwissenschaftlichen Bedeutung gerecht wird, machen wir uns hierzulande oft kleiner, als wir eigentlich sind. Der Blog bzw. die Onlinemedien allgemein haben den Printmedien längst den Rang abgelaufen was Aktualität und Geschwindigkeit angeht. Vom Aspekt der Interaktion her waren wir seit eh und je konkurrenzlos. Und was die Qualität der produzierten Inhalte angeht, sind wir oft auf Augenhöhe. Natürlich ist nicht jeder Schnäppchenblogger, der Amazonlinks postet, ein gestandener Journalist. Aber es gibt in Deutschland viele gute Blogger, die fantastische Arbeit leisten und immer noch den Makel des Möchtegern-Autors mit sich herumtragen.

However - ich schweife ab. Es geht also im Grunde, wie du auch gesagt hast, nicht darum, Twitter, Facebook und alle anderen zu verteufeln - sie sind wichtige und mächtige Werkzeuge. Aber wir (Blogger) sollten sie eben mehr als Ergänzung sehen, denn als Ersatz. Und wir müssen unser Selbstverständnis aufpolieren, indem wir uns selbst, unserer eigenen Arbeit und auch gegenseitig mehr Bedeutung und Respekt zukommen lassen, als wir das bisher getan haben.

Dieser Beitrag ist nun deutlich länger und emotionaler geworden, als es geplant war, aber er ist mein ganz persönlicher Flow of Consciousness, den ich nach Lektüre deines Artikels hatte. Ich danke dir an dieser Stelle ganz ausdrücklich dafür.

Bleibt nur noch zu sagen: Das Netz zurückerobern? Ich bin dabei, Johnny!

Gimmemore Take The Power Back on Spreeblick.


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