Snowden und der ganze Scheiß

Es wurde schon ausgiebig über “Snowden und den ganzen Scheiß” geredet. Sehr ausgiebig. Es wurde enthüllt, berichtet, sich profiliert und empört, nach Satisfaction verlangt, klargestellt, gerechtfertigt und abgewiegelt. Glenn Greenwald und der Guardian haben bei der ganzen Sache sicher die meisten Credits im investigativen Business gesammelt. Sie traten eine Berichterstattung los, die ihresgleichen sucht: Journalisten buchten auf Verdacht Plätze in dem Flugzeug, das Snowden mutmaßlich aus Russland bringen sollte. Was blieb, war nur ein Foto vom leeren Sitz Snowdens. Selbst die Nicht-Existenz von Neuigkeiten im Fall Snowden wird medial ausgebreitet.

Die Süddeutsche Zeitung mokierte sich über “Falsche Fluchthelfer”, die den Fall Edward Snowden nur dazu nutzen würden, den USA eins auszuwischen und sich als Gutmenschen aufzuspielen. Damit haben sie durchaus recht. Aber immerhin versuchen sie, dem Mann zu helfen. Aus welcher Motivation heraus ist in der jetzigen Situation eher sekundär.

Johnny Haeusler geht gar so weit, dass das Internet kaputt sei, sprich: uns wurde die Unschuld des Nichtwissens geraubt. Und irgendwie hat er recht. Natürlich haben wir alle nicht nur geahnt, sondern gewusst, dass die Geheimdienste der Welt Abhöraktionen durchführen. Jeder, der gedacht hat, es gäbe so etwas wie Überwachung nicht, muss - mit Verlaub - ziemlich naiv sein. Dass die Spionage in unseren Wohnzimmern und Büros allerdings solch utopische Ausmaße annimmt, hat wohl alle überrascht. Doch dazu wurde schon genug gesagt.

Was mich beschäftigt, ist folgende Frage: Wie gehen wir mit dem Opfer um, das Edward Snowden für uns gebracht hat? Er hat seinen sicheren und gutbezahlten Job aufgegeben, sein Haus auf Hawaii, sein Leben. Und wenn ich von seinem Leben rede, dann meine ich die durchaus realistische Möglichkeit, dass diese Tat für Snowden tödlich ausgehen kann. So oder so wird er entweder Zeit seines Lebens auf der Flucht bleiben, im Gefängnis verrotten oder Schlimmeres. Und wofür? Er hat mit der Enthüllung von PRISM und Tempora nichts anderes getan, als die Öffentlichkeit zu informieren; nicht mehr und nicht weniger. Das Reden darüber bringt herzlich wenig. Das ist ungefähr so, als würde mir jemand ins Gesicht schlagen und ich tanze meinem Angreifer meine Empörung darüber vor. Die Frage lautet: was stellen wir mit den Informationen über unsere immerhin demokratisch gewählten Regierungen an? Nehmen wir die Tatsache, dass der nachrichtendienstliche Verwaltungsapparat derart über die Stränge schlägt, einfach hin? Ein kurzer #Aufschrei und das wars dann?

Der Punkt ist folgender: die übliche Ausrede: “Das betrifft mich ja nicht…” trifft hier eben nicht zu. Es betrifft mich. Und euch. Es stellt sich heraus, dass die Überwachung durch NSA und Co. allumfassend ist. Wir stehen alle unter Generalverdacht. Meine Intimsphäre wird erheblich verletzt und beeinträchtigt, wenn ich davon ausgehen muss, dass jedes Katzenfoto, was ich auf Facebook teile, zunächst als potentiell “die nationale Sicherheit gefährdend” eingestuft wird. Das ist grotesk und in höchstem Maße beleidigend.

Als Angela Merkel vor einigen Tagen den großen Bruder USA zu verteidigen versuchte, indem sie erklärte, dass das ganze Internet-Dingens ja noch #Neuland für uns sei, hat die Netzgemeinde zu Recht die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Erklärungsnot wäre noch untertrieben. Zu hilflos wirkte unsere Regierung in diesem Moment. René Walter hat in einem seiner Kommentare sehr schön zum Ausdruck gebracht, warum Merkels “Neuland” ein weiterer Schlag ins Gesicht war.

Wir stehen vereint mit offenem Mund da und sind gemeinsam hilflos. Klar, wie soll man sich gegen die NSA wehren? Die NSA, verdammt! Das sind die Jungs mit den schwarzen SUVs und den dicken Kanonen. Mit Satelliten, Dronen, Wanzen, Peilsendern und 007-Ausrüstung inklusive der Lizenz zum Töten, wenn es sein muss. Was bleibt zu tun gegen solch geballte Macht?

Versteht mich nicht falsch, das soll jetzt hier kein Aufruf zum Sturm auf die Bastille werden. Ich rede nicht davon, mit Fackeln und Mistgabeln das Regierungsviertel zu besetzen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und dort soll es auch bleiben. Es ist gut, dass uns der Staat vor Terroranschlägen beschützt. Das soll er auch. Aber bitte nach den Regeln und Prinzipien eines Rechtsstaates. Einer der obersten Grundsätze eines Rechtstaates ist nämlich die Verhältnismäßigkeit, die uns vor genau solchen Wucherungen der Staatsgewalt beschützen soll.

Also: was sollen wir tun, wenn Agriff keine Option ist? Wir können uns nur schützen, indem wir unsere Verteidigung verstärken, soll heißen: wir müssen es den Geheimdiensten schwer machen. Das fängt mit Verschlüsselungstools wie PGP an und geht weiter damit, dass wir massiven Druck auf die Konzerne ausüben, die unsere Daten so bereitwillig weitergaben. Wir müssen politischen Druck ausüben auf unsere Regierung, wir müssen klarstellen, dass wir das nicht hinnehmen können und dürfen. Die Souveranität liegt bei uns. Und wir müssen sie verdammt noch mal nutzen. Sonst hat Edward Snowden gar nichts bewirkt. Dann hat er nur sein Leben ruiniert.

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